China vor entscheidendem Gipfel in Glasgow: Der Big Player im Kampf gegen die Klimakrise

China baut mehr Fotovoltaikanlagen als andere Länder. Aber es verfeuert immer noch zuviel Kohle. Bis 2060 will das Land klimaneutral werden. Jetzt hat Peking dafür einen ersten Fahrplan bekannt gegeben.
Peking/München – Reist Xi Jinping nun nach Glasgow oder nicht? Wenige Tage vor Beginn der UN-Klimakonferenz COP26 wird das immer unwahrscheinlicher. Noch gibt es keinerlei offizielle Aussage dazu, und Xi war seit Beginn der Corona-Pandemie nicht mehr im Ausland. Zumindest der erfahrene Klima-Unterhändler Xie Zhenhua wird persönlich anreisen. Das ermöglicht informelle Gespräche zumindest mit ihm, was auf solchen Konferenzen immens wichtig ist. Xie betonte kürzlich, China* arbeite an einem Erfolg der Klimakonferenz. Auch hatte Xie im Vorfeld zweimal mit dem US-Klimabeauftragten John Kerry* gesprochen.
Doch auch wenn Präsident Xi nicht nach Glasgow fliegt, wird Chinas Rolle bei dem Klimagipfel ab 31. Oktober von großer Bedeutung sein: Nur wenn die Volksrepublik als aktuell größter Emittent von Treibhausgasen* zu weiteren Zugeständnissen bereit ist, kann der Kampf gegen den Klimawandel* Erfolg haben. In Glasgow sollen alle Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens von 2015 ihre Klimaziele ehrgeizig nachschärfen. Das Abkommen verlangt, die globale Erwärmung auf unter 2,0 Grad, wenn möglich, sogar auf nur 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen.
Die Zeit drängt für alle*. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) stellt in einem am Montag vorgelegten Bericht fest, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre 2020 trotz der Corona-Pandemie neue Höchstwerte erreicht hat. Das UN-Umweltprogramm (Unep) teilte am Dienstag mit, die internationale Gemeinschaft müsse ihre Klimaschutzbemühungen versiebenfachen, wenn sie das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen wolle. Bisherige Ziele, vor allem der Industriestaaten sowie Chinas und Indiens, reichen also bei weitem nicht aus. Für die Schwellenländer China und Indien sind die Entscheidungen schwer. Sie befinden sich noch mitten in dem Entwicklungsprozess, den Europa und die USA längst hinter sich haben. Trotzdem müssen sie allein aufgrund ihrer Größe unbedingt mitziehen.
China: Geht beim Klimaschutz mehr als das 30/60-Ziel?
China hat sich nach langem Zögern in den vergangenen Jahren zu öffentlichen Zielen durchgerungen. Pekings bekannte Zusage ist das sogenannte 30/60-Ziel: Spätestens 2030 soll der Höhepunkt der Treibhausgas-Emissionen des Landes erreicht sein. Bis dahin soll die CO2-Intensität der Wirtschaft immer weiter abnehmen. Ab 2060 will China klimaneutral wirtschaften. Indien hat dagegen bisher kein Datum für die Klimaneutralität bekannt gegeben.
Die Energiewende ist bereits im Gange*, schon jetzt stehen unzählige Windräder auf Nordchinas windumtosten Hügelketten. Fotovoltaikanlagen gibt es im ganzen Land. Im Juli startete Chinas Emissionshandel, der schrittweise ausgeweitet werden soll. Doch Chinas Emissionen werden nach den Plänen zumindest bis 2030 auch noch leicht steigen. Bis dahin soll zunächst die Energie-Effizienz erhöht werden. Chinas Zusage von Ende 2020 lautet: Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß pro Einheit Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Jahr 2005 um 65 Prozent sinken. Das bedeutet: Es sollen weniger Treibhausgase ausgestoßen werden, um die gleichen Waren zu produzieren und Dienste bereitzustellen. Die erneuerbaren Energien sollen bis 2030 rund 25 Prozent der Energieerzeugung ausmachen. Der Kohleverbrauch soll ab 2026 sinken.
China: Erster Fahrplan zum Erreichen von 30/60
In den vergangenen Tagen veröffentlichte China nun die ersten etwas konkreteren Fahrpläne. Am Wochenende gab es zum Beispiel ein Strategiepapier, das unter anderem Etappen auf dem Weg zu bereits bekannt gegebenen Zielen in 2030 und 2060 aufstellt. So sollen nicht-fossile Energieträger 2025 „ungefähr 20 Prozent“ zum Energiemix beitragen. Bekannt ist wie gesagt das Ziel, 25 Prozent Erneuerbare bis 2030. In dem neuen Strategiepapier steht konkret, dass bis 2030 insgesamt 1.200 Gigawatt an Solar- und Windkraft installiert sein sollen. Neu ist, dass China den Höchststand beim Ölverbrauch während des 15. Fünfjahresplans (2026-2030) erreichen will - also kurz nach dem bereits verkündeten Maximum im Kohleverbrauch in 2025. Zum Thema Öl und Erdgas hatte Peking sich bislang gar nicht geäußert. Neu ist auch das in dem Papier enthaltene Ziel, bis 2060 mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Quellen und Atomkraft zu decken.
Auf der UN-Artenschutzkonferenz kürzlich in Kunming hatte Xi Jinping überraschend erzählt, dass derzeit 100 Gigawatt Wind- und Solarkapazität in Chinas Wüsten entstehen*. Der Bau laufe nach Plan. Das Projekt entspricht nach Angaben von Bloomberg New Energy Finance mehr als die aktuelle Solar- und Windkapazität Indiens – und die vierfache Kapazität des Drei-Schluchten-Damms am Yangtse.
Xis Ankündigung stützt zudem laut BloombergNEF unbestätigte Berichte, wonach das Projekt Teil eines von China in der Wüste geplanten 400-Gigawatt-Projektes für Erneuerbare sei. Dieses Megaprojekt könne aus einem Netzwerk kleinerer Anlagen bestehen. So haben in den vergangenen Tagen die nordwestchinesischen Provinzen Qinghai und Gansu neue Wind- und Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von 24 Gigawatt bekannt gegeben.
China: Aktionsplan bis 2030
In einem weiteren Aktionsplan für die Jahre bis 2030 kündigte China am Mittwoch neben bekannten Maßnahmen an, ältere Schwerindustrieanlagen mit hohen Emissionen abzuschalten oder umzurüsten. Neue Kapazitäten in den Bereichen Stahl, Aluminium und Zement sollen streng reguliert werden, um „blinde Investitionen“ zu verhindern. Der Bausektor sowie energieintensive Industrien wie Eisen und Stahl, Metalle, Baumaterialien und Chemie sollen mehr Energie sparen. Konkrete Pläne sollen nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua demnächst folgen.
Der 2030-Aktionsplan enthalte kaum numerische Ziele, bemängelt allerdings Lauri Myllyvirta, China-Experte vom Centre for Research on Energy and Clean Air. Nicht einmal von Branchen wie Zement oder Stahl bereits herausgegebenen Ziele für ihren jeweiligen Emissionshöhepunkt seien enthalten. „Es scheint, dass China in drei Schlüsselfragen mit wenig Klarheit nach Glasgow reist: Auf welchem Niveau werden die Emissionen ihren Höchststand erreichen, wie lange vor 2030 und wie schnell werden sie nach dem Höchststand sinken.“
China: Zwischen Nachhaltigkeit und Energiesicherung
Das Problem bleibt die Kohle, jener Rohstoff mit dem höchsten CO2-Ausstoß pro Einheit generierten Stroms. Der Anteil der Kohle an Chinas Energiemix ist seit 1978 nur sehr moderat gesunken: Von zwei Dritteln auf 58 Prozent. Doch nach der Corona-Pandemie setzten viele Regionen für die wirtschaftliche Erholung schnell wieder auf die billige Kohle. Manche genehmigten den Bau von Kohlekraftwerken, die Peking nun am liebsten wieder stoppen würde. Doch nun ist durch die heftige Stromkrise Chinas* ohnehin alles ungewiss. Auch diese Krise hat direkt mit Chinas Klimazielen zu tun: Denn die meisten Provinzen erreichten ihre Energie-Einsparziele für dieses Jahr nicht. Daher rationieren viele von ihnen nun den Strom. Dies ist neben den horrenden globalen Rohstoffpreisen der wichtigste Grund für die aktuelle Krise, die bereits internationale Lieferketten bedroht*.
Die Energiesicherung hat wegen des Strommangels zumindest kurzfristig Vorrang. Das Problem: Je größer der Anteil der Kohle am Energiemix 2030 noch ist, desto schwieriger wird der Weg von da an zur Klimaneutralität.
China: Wege zur Klimaneutralität
Rat gibt es von der Internationalen Energie-Agentur IEA. Sie hat gemeinsam mit chinesischen Forschenden einen Fahrplan zur Klimaneutralität für den Energiesektor für das Land ausgearbeitet, der das 30/60-Ziel als Anhaltspunkt nimmt. Bis 2060 müsste laut dem IEA-Fahrplan Chinas Nachfrage nach Kohle um 80 Prozent, nach Öl um 60 Prozent und nach Erdgas um 45 Prozent gesunken sein. Effizienzsteigerungen, neue Materialien und die so genannte „Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid“ (CCS) werden einiges voranbringen, sagte Timur Gül, Leiter der IEA-Abteilung für Energietechnologiepolitik und verantwortlicher Autor des Fahrplans kürzlich bei der Präsentation. Techniken wie CCS oder negative Emissionen durch Bio-Energie könnten dann ab 2060 die letzten Emissionen neutralisieren. Diese werden auch weiterhin etwa durch Schwerindustrie oder Langstrecken-Frachttransporte entstehen.
Für die Hälfte der ab 2030 nötigen Emissionsminderungen werde China aber auf Technologien setzen müssen, die noch gar nicht existieren, betonte Gül. Investitionen in Forschung und Innovation sind daher zwingend. Das gleiche gilt letztlich auch für den Rest der Welt, einschließlich Deutschland. Die Herausforderung ist gewaltig, für alle.
China: Ehrgeizigere Ziele durch Stromkrise unwahrscheinlich
Die Welt drängt Peking derweil zu einem noch schnelleren Vorgehen über 30/60 hinaus. Die IEA hält das für durchaus machbar. „China hat die Fähigkeit, die wirtschaftlichen Mittel und das politische Können, um den Höhepunkt früher zu erreichen – etwa in den mittleren 2020er-Jahren“, sagte IEA-Generaldirektor Fatih Birol. Eine über 30/60 hinausgehende Zusage Chinas in Glasgow ist allerdings durch die Stromkrise nicht eben wahrscheinlicher geworden.
Es wird viel zu debattieren geben in Glasgow. Inhaltliche Vorbereitungen laufen vor allem hinter den Kulissen. Xi telefonierte kürzlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel* und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Thema. Der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung Ottmar Edenhofer empfahl der EU, ihr politisches Kapital zu nutzen und mit China und den USA eine neue Klima-Allianz* zu schmieden. Es wird spannend in Glasgow. Eine Zusammenarbeit der wichtigsten Klimasünder wäre jedenfalls für uns alle lebenswichtig. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.