Ernüchterung im China-Geschäft: Weniger Chancen, mehr Herausforderungen – aber deutsche Firmen wollen bleiben

Realismus statt Euphorie: Deutsche Unternehmen in China drosseln ihre Erwartungen. Die Herausforderungen wachsen, die Chancen sinken. Trotzdem erwarten viele noch gute Geschäfte.
Peking/München – Noch vor einigen Jahren strotzten die ausländischen Firmen in China vor Optimismus. Die Wirtschaft der Volksrepublik brummte, die Marktöffnung ging trotz bleibender Hürden voran, und mancher glaubte sogar noch an „Wandel durch Handel“. Heute regiert die Ernüchterung. In ihrer am Dienstag vorgestellten Geschäftsklima-Umfrage unter deutschen Firmen stellte die Außenhandelskammer (AHK) in China eher Realismus fest als Euphorie. Schon die Überschrift der Studie verdeutlichte den Zwiespalt: “Geschäftsaussichten positiv – Ungleichbehandlung und Lokalisierungsdruck fordern deutsche Unternehmen in China heraus.”
Die meisten Firmen erwarten generell weiter gute Geschäfte. 96 Prozent wollen laut der Umfrage definitiv in China* bleiben, 71 Prozent sogar mehr investieren. Doch die Unternehmen scheinen ermüdet — von den harten Corona-Restriktionen, der Politisierung des Geschäftsumfelds und den Entkoppelungstendenzen vor allem zwischen China und den USA. “Unternehmen überdenken bereits ihre Geschäftstätigkeit”, sagte Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Deutschland, die mit der AHK die Umfrage organisierte und auswerete. Vor einem Jahr noch hatte Glunz festgestellt, der Optimismus sei so groß wie im Boomjahr 2018. Davon ist keine Rede mehr.
Deutsche Firmen in China: Geschäft läuft weiter gut, Erwartungen aber gedämpft
Doch zunächst einmal zu den Geschäftserwartungen: 60 Prozent der befragten Firmen erwarten 2022 steigende Umsätze, 41 Prozent auch mehr Gewinn. Das ist nur geringfügig weniger als 2021: Damals gingen 63 Prozent von mehr Umsatz und 48 Prozent von mehr Profit aus. Sinkende Umsätze oder Gewinne erwarten mit zehn beziehungsweise 17 Prozent heute sogar weniger Firmen als 2021 (damals 14 und 22 Prozent). Eine Verbesserung der Lage in ihrer Branche erwarten derweil 51 Prozent — nach 66 Prozent vor einem Jahr. 18 Prozent der Firmen stellen sich 2022 auf eine Verschlechterung der Aussichten in ihrem Sektor ein - nach nur neun Prozent im Vorjahr.
Chinas Wirtschaftswachstum lag 2021 bei robusten 8,1 Prozent*. Für 2022 erwarten verschiedene Experten immerhin noch zwischen vier und 5,5 Prozent. Der Optimismus der Firmen nehme trotzdem ab, sagt Glunz. “Es gibt weiter Chancen. Aber wenn man genauer hinschaut, wird der Ausblick in allen Segmenten weniger positiv.” Will heißen: Die Befragten sehen seit 2019 weniger Möglichkeiten für ihr Unternehmen. Ein paar Beispiele: In der aktuellen Umfrage sehen 51 Prozent Chancen in wachsendem Konsum auf dem Binnenmarkt. Vor zwei Jahren glaubten daran noch mehr als zwei Drittel. 42 Prozent sehen Chancen in der Teilhabe an chinesischer Innovation — gegenüber 61 Prozent vor zwei Jahren.
Nur noch 39 Prozent glaubten an Chancen durch wachsende Nachfrage nach ausländischen Marken daran, gegenüber 65 Prozent vor zwei Jahren. „Das ist der stärkste Rückgang“, so Glunz. Man habe einen Trend zum Kauf lokaler Marken festgestellt. Modetrends kommen zudem heute eher aus Japan oder Südkorea. Tatsächlich ist der Konsummarkt für westliche Firmen deshalb schwieriger geworden. Zugleich richtet sich die Stimmung derzeit sehr schnell gegen ausländische Marken, wenn sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen wie in Xinjiang positionieren, Taiwan in Landkarten als Staat auszeichnen oder die “falschen” Models abbilden.
Chinas Markt: Herausforderungen für deutsche Firmen nehmen zu
Die Herausforderungen nehmen dagegen zu. Das gilt sowohl für das politische und regulative Umfeld, als auch für ganz praktische Themen. Auch drücken die aktuelle Energieknappheit sowie die Immobilienkrise rund um den strauchelnden Konzern Evergrande auf die wirtschaftliche Stimmung.
Noch immer aber gehören Chinas strikte Corona-Reisebeschränkungen zu den drei am häufigsten genannten operativen Probleme der Firmen (42 Prozent). Da es kaum Flüge zwischen Deutschland und China gibt, und die Volksrepublik nach wie vor kaum Einreisevisa erteilt, haben die Unternehmen Schwierigkeiten, Mitarbeiter und ihre Familien ins Land zu bringen. Auch Installateure, die verkaufte Anlagen beim Kunden einbauen, kommen nicht rein. Dienstreisen deutscher Manager ins Hauptquartier nach Deutschland machen aufgrund der dreiwöchigen Quarantäne bei der Rückreise wenig Sinn. „Die reduzierte Konnektivität zwischen unseren beiden Regionen seit Beginn der Corona-Pandemie ist uns allen ein ernstes Anliegen“, mahnte Frank Rückert, der Gesandte der Deutschen Botschaft in Peking, anlässlich der Vorstellung der Kammer-Umfrage.
Auch die vergangene Woche erstmals in chinesischen Städten nachgewiesene Omikron-Variante* des Coronavirus besorgt die deutschen Firmen. „Omikron könnte in der Zukunft zu massiven Lockdowns führen, was Folgen für deutsche Firmen hätte“, sagte Glunz. Lieferketten könnten unterbrochen, Fabriken lahmgelegt werden. Bislang ist dies nach Angaben von Clas Neumann, Präsident der AHK in Shanghai, aber nicht der Fall. China verzeichnet zwar täglich nur 150-200 Fälle, hält aber weiterhin an seiner strikten-Null-Covid-Politik fest.
Noch häufiger als die Reise-Restriktionen nannten die Firmen nur das Finden und Halten von Mitarbeitenden sowie steigende Löhne in China (je 49 Prozent) als Herausforderung. Es fällt auf, dass alle diese Probleme direkt mit dem Bereich Personal zu tun haben. Die Firmen bekommen laut Glunz bereits heute die allmähliche Überalterung der Gesellschaft zu spüren. Manche überlegten sich bereits Konzepte, wie man Ältere auch nach dem Eintritt ins Rentenalter — für Männer bei 60 Jahren, bei Frauen noch früher — beschäftigen könne.
Deutsche Firmen in China: Sorgen vor Ungleichbehandung und Entkopplung
Wachsende Schwierigkeiten sehen die Firmen auch im regulatorischen Umfeld. “Fehlende Gleichbehandlung ist zur größten regulatorischen Herausforderung für die deutsche Wirtschaft in China geworden“, betonte Neumann. 34 Prozent der Firmen nannten dies als eine ihrer drei größten Herausforderungen. Ein großes Problem für die Firmen ist hier die mangelnde Teilhabe an öffentlichen Aufträgen in China.
42 Prozent der Befragten, die sich an öffentlichen Ausschreibungen beteiligt hatten, erlebten dabei eine Bevorzugung chinesischer Wettbewerber. Sie berichteten laut Neumann von fehlender Transparenz, „buy-local“-Praktiken und einer Vorzugsbehandlung für Staatsunternehmen. Doch für die Zukunft benötigten die deutschen Firmen in China „ein Zeichen, dass Gleichberechtigung Teil des Wirtschaftssystems ist.” Seit Jahren fordern Kammern wie die AHK und auch die Europäische Handelskammer (EUCCC) Peking auf, endlich dem WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen beizutreten – bisher ohne Erfolg.
China: Deutsche Firmen planen trotz allem mehr Investitionen
Generell bereitet den Firmen das Thema Selbstversorgung Kopfzerbrechen. Präsident Xi Jinping* stört sich zunehmend an der großen Abhängigkeit Chinas von Rohstoffen und Vorprodukten. Hinzu kommen geopolitische Spannungen. Mit Unruhe hatten die Unternehmen schon Anfang 2021 auf die drohende Entkopplung zwischen den Wirtschaften Chinas und der USA beziehungsweise dem Rest der Welt geschaut. In der neuen Umfrage erwarten 55 Prozent negative Entkopplungs-Effekte. 30 Prozent befürchten hohe Kosten für eine künftige Restrukturierung der Lieferketten.
Bisher aber wollen die Firmen trotz allem nicht weg aus China. Im Gegenteil: Sie reagieren auf die Probleme offenbar mit einer noch stärkeren Lokalisierung. 49 Prozent wollen in neue Fertigungsstätten investieren, 47 Prozent in lokale Forschung, 37 Prozent in Automatisierung, und 30 Prozent in die Digitalisierung ihrer Unternehmen. Nur 24 Prozent wollen weniger investieren. Dieser von der AHK “Lokalisierung 2.0” genannte Trend ist laut Clas Neumann aber nicht nur auf die Entkopplung zurückzuführen. “Es kommen auch starke Kräfte direkt aus dem Markt, sie sind vielleicht sogar noch stärker.” 38 Prozent der Befragten wollen nun “lokaler werden”. Sprich: Mehr strategische Kooperation oder gar Joint Ventures mit lokalen Partnern. “57 Prozent sagten, ein chinesischer Partner werde die Akzeptanz auf dem Markt verbessern” so Neumann. Ein knappes Drittel will die Entscheidungsbefugnisse lokaler Niederlassungen von der Zentrale in Deutschland ausweiten.
Das zeigt, dass China trotz aller Schwierigkeiten noch immer zu wichtig ist, als dass man den Markt leichthin an den Rand der eigenen Geschäftstätigkeiten schieben könnte. Lieber sucht man nach neuen Wegen, mit den Problemen irgendwie umzugehen. Das Engagement der Firmen im chinesischen Markt “bleibt unerschüttert”, schloss Neumann. Die AHK rief die neue Bundesregierung dazu auf, die Sorgen der Unternehmen in ihrer China-Strategie zu berücksichtigen. „Aus Sicht der deutschen Unternehmen sollte sich die neue Bundesregierung weiterhin für eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen und eine Lockerung der Reisebeschränkungen einsetzen“, sagte Clas Neumann. Immerhin erwartet er im Frühjahr wieder mehr Linienflüge zwischen Deutschland und China. Die Wünsche sind bescheiden geworden. (ck) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.