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Ukraine-Konflikt: Die seltsame Rolle Pekings – Enthaltung bei der UNO – aber russischer Einmarsch „keine Invasion“?

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Von: Christiane Kühl

Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Staatschef Xi Jinping sprechen bei ihrem Gipfel in Peking
Unverbindliche Verbündete? Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Wladimir Putin – hier bei ihrem Treffen in Peking Anfang Februar © Alexei Druzhinin/Itar-TASS/Imago

China vollführt im Ukraine-Konflikt seit Tagen einen Drahtseilakt zwischen offener Unterstützung Russlands und staatsmännischer Neutralität. Im UN-Sicherheitsrat stimmte Peking nicht mit Russland.

Peking/München – In Kreisen der Vereinten Nationen gilt nach der gescheiterten Resolution zum Ukraine-Konflikt* im UN-Sicherheitsrats zumindest eines als Erfolg: Chinas Enthaltung. China* – sonst enger UN-Partner der Russen – enthielt sich am Freitagabend Ortszeit genauso wie Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate. 11 Staaten stimmten zu, während über 70 weitere nicht stimmberechtigte Länder die Resolution unterstützten. Ein Scheitern der Resolution war ohnehin klar gewesen: Russland besitzt wie die USA, China, Frankreich und Großbritannien im Sicherheitsrat ein Vetorecht. Ziel der Sponsoren der Resolution war es daher gewesen, Russland* international zu isolieren und einen Keil zwischen Moskau und Peking zu treiben.

Dazu haben die Verhandler offenbar bis kurz vor der Abstimmung um einen Text gerungen, gegen den Pekings UN-Botschafter Zhang Jun kein Veto einlegt. Der Entwurf der Resolution, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, verurteilt Russlands Aggression „aufs Schärfste“ und bekräftigt Souveränität, territoriale Integrität und Einheit der Ukraine. Der unter Federführung der USA und Albaniens enstandene Entwurf fordert den sofortigen Rückzug Russlands sowie die Rückkehr zum Minsker Abkommen.

Das Stimmverhalten Chinas werteten Beoabachter nun als vorsichtige Distanzierung von Russland. UN-Botschafter Zhang Jun erklärte in der Sitzung: „China ist zutiefst besorgt über die jüngsten Entwicklungen der Lage in der Ukraine. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, den wir nicht sehen wollen“. China glaube, dass die Souveränität und territoriale Integrität aller Staaten respektiert werden müssten. Zhang kritisierte dabei jedoch auch die Nato und sprach Moskau legitime Sicherheitsinteressen zu.

China im Ukraine-Konflikt: Zurückhaltend bei den Vereinten Nationen, forsch in Peking

In den vergangenen Jahren hatten Moskau und Peking regelmäßig zusammen abgestimmt, sie gelten als Allianz im UN-Sicherheitsrat. die Enthaltung galt daher als Maximalziel. Generell hatte Peking jedoch zumindest bei der UNO in New York im Ukraine-Konflikt zuletzt zurückhaltend agiert. Zhang Jun hatte es zum Beispiel vermieden, Russland direkt zu verteidigen.

Anders liegt die Sache jedoch in Peking. Vor allem die Sprecher des Außenministeriums übten dort im Dauerfeuer Kritik an den USA* und ihre Sanktionen sowie an der Nato. Am Donnerstag schaffte es Außenamtssprecherin Hua Chunying gar, zu leugnen, dass es sich bei dem Angriff überhaupt um eine Invasion handele. Es klang, als habe man in Peking alternative Fakten zur Verfügung. Die Schuld für den Konflikt gab Hua allein den USA und der Nato. „Die USA haben das Feuer entzündet und die Flammen angefacht. Werden sie jetzt das Feuer löschen?“ Auch am Freitag wich sich Huas Kollege Wang Wenbin in einer Pressekonferenz der Frage aus, ob es sich um eine Invasion handele.

Es ist klar: wenn Russlands Einmarsch eine Invasion ist, dann muss China diese aufgrund seines wichtigsten außenpolitischen Prinzips von der Unverletzbarkeit der Grenzen anderer Staaten eigentlich verurteilen. Doch das geht aufgrund der Partnerschaft mit Russland eben nicht: China befindet sich im Dilemma. Was sich am Freitag auch darin zeigte, dass Wang sich nicht festlegen lassen wollte, ob China denn auch die Unabhängigkeit der ukrainischen Rebellenprovinzen Luhansk und Donezk anerkenne.

Ukraine-Konflikt: Wurde China vom Einmarsch der russischen Armee überrascht?

Es ist unklar, ob China von dem massiven Angriff Russlands ebenso überrascht wurde wie weite Teile Europas. Nur die USA hatten tagelang unter Berufung auf ihre Geheimdienste vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff gewarnt. Die Chinesen aber hätten geglaubt, dass Putin nur bluffe, schrieb etwa Yun Sun, Senior Fellow der US-Denkfabrik Stimson Center. „Sie rechneten nicht mit einer echten Invasion durch Russland. Aus Sicht Chinas hatte Putins waghalsiges Vorgehen seine Ziele erreicht, die USA und Europa zurück an den Verhandlungstisch zu drängen, einen Keil zwischen die NATO-Verbündeten zu treiben, die Energiepreise aufzublähen und die NATO-Erweiterung zu verhindern.“ Daher sahen sie für Putin keinen Grund mehr, eine Invasion durchzuziehen und empfindliche Sanktionen zu riskieren, so die Expertin.

Die US-Zeitung New York Times bestätigte das indirekt. Sie berichtete am Freitag von einem halben Dutzend bisher unbekannter Gespräche zwischen hochrangigen Beamten der USA und Chinas in den vergangenen drei Monaten. Die US-Seite habe Informationen präsentiert, die Russlands Truppenaufbau nahe der Ukraine zeigten. Man habe die Chinesen angefleht, Russland von einem Einmarsch abzubringen, erzählten US-Beamte der Zeitung. Doch die chinesischen Gesprächspartner, einschließlich Außenminister Wang Yi und UN-Botschafter Zhang Jun hätten das Ansinnen jedes Mal zurückgewiesen, da sie nicht glaubten, dass eine Invasion in Arbeit sei. Im Dezember dann erhielten US-Beamte laut dem Bericht Informationen, wonach Peking die während der Gespräche geteilten Informationen an Moskau weitergegeben habe.

Ukraine-Konflikt: Xi Jinping spricht mit Putin - als einziger

Den direkten Kanal nach Moskau hielt China während der Krise durchgehend aufrecht. Chinas Präsident Xi Jinping* gehörte zu den ersten, die am Freitag von dem Gesprächsangebot der Ukraine erfuhren. Während am Freitagnachmittag der russische Angriff auf Kiew auf Hochtouren voranging, twitterte die Staatszeitung Global Times auf einmal von einem Telefonat Xis mit Russlands Präsident Wladimir Putin*. Warum beide sprachen, war zunächst unklar. Wollte Xi den seit der Invasion überall im Westen geächteten Amtskollegen seiner Unterstützung versichern? Wenig später war klar: Xi sprach mit Putin darüber, dass Russland ein Gesprächsangebot des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bekommen hatte.

Laut dem staatlichen Fernsehsender CCTV rief Xi bei dem Gespräch Russland zur Aufnahme von Verhandlungen auf. "China unterstützt Russland und die Ukraine dabei, die Angelegenheit durch Verhandlungen zu lösen", sagte Xi demnach in dem Gespräch mit Putin. Dieser habe dann erklärt, Russland sei zu Gesprächen mit der Ukraine auf "hochrangiger Ebene" bereit*. Xi sagte zudem, dass es wichtig sei, "die Mentalität des Kalten Krieges aufzugeben" und "den begründeten Sicherheitsanliegen aller Länder Bedeutung beizumessen". Notwendig sei ein "ausgewogener, effektiver und nachhaltiger europäischer Sicherheitsmechanismus". Diese Formulierungen sind nicht neu; das gleiche hatte Außenminister Wang Yi zu seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow bereits gesagt.

Zwar war es am Wochenende mehr als zweifelhaft, ob es überhaupt zu den anregeten Verhandlungen kommen wird. China würde von einem Ende der Kampfhandlungen aus seinem Dilemma befreit, hat aber bislang wohl keinen direkten Druck ausgeübt. „Mir sind keine Beweise dafür bekannt, dass Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas* wirklich versucht haben, den Krieg zu beenden“, betont der Russland-China-Experte Joe Webster. Vielleicht, weil eben auch Xi einen Angriff gar nicht erwartet hatte? Hatte Putin auch Xi getäuscht, bei dem Gipfel der beiden am Eröffnungstag der Olympischen Spiele? Webster vermutet eher, dass es Xi vor allem darum gegangen war, eine Attacke während der Olympischen Spiele in Peking* zu vermeiden. Ob Chinas Staatschef in Peking das Thema ansprach, ist unbekannt, wie so vieles.

China im Ukraine-Konflikt: Wie geht es weiter?

Dass China sich nun im UN-Sicherheitsrat enthielt, ist ein Zeichen, dass man sich nicht zu den Pariahs der Weltgemeinschaft gesellen möchte. Ein Veto hätte China in die Ecke gestellt. Doch wie geht es nun weiter? Erst einmal folgt nun eine Abstimmung in der UN-Generalversammlung, wo eine einfache Mehrheit für die Annahme der Resolution reicht.

Später wird China entscheiden müssen, ob es wie 2014 die Sanktionen des Westens gegen Russland schweigend mitträgt. China könnte Russland zum Beispiel mit Finanzierungen in der Landeswährung Yuan beispringen. Doch das birgt ein hohes Risiko für Zahlungsausfälle, wen Russlands Wirtschaft durch die Sanktionen leidet. Auch wird es Chinas Möglichkeiten, etwa mit Europa wirtschaftlich zusammenzuarbeiten, weiter beschädigen. Peking hat die neuen Sanktionen mehrfach heftig kritisiert – wohl aus einem Mix aus prinzipieller Ablehnung und Ärger über die nun nötigen Entscheidungen. Geäußert hat sich China zu seinem Vorgehen im Zusammenhang mit den Sanktionen bislang aber nicht. (ck, mit Material von dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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